Die Perfektionismusfalle


"Meine größte Schwäche? Perfektionismus!" Hast du das auch schon mal behauptet? Führende Psychologen sehen Perfektionismus jedoch nicht als Stärke, sondern als fundamentalen Risikofaktor, der psychischen Stress auslöst. In meiner Erfahrung als Stressmanagement-Expertin ist mir Perfektionismus oft als Haupttreiber zur persönlichen Erschöpfung begegnet.

Perfektionismus: Ein lähmender Begleiter im Alltag

Perfektionismus ist das ständige Streben nach Vollkommenheit in Verbindung mit der Angst vor Fehlern. Es geht weit über den Wunsch hinaus, gute Arbeit zu leisten – es ist der innere Zwang, keinerlei Mängel zuzulassen. Perfektionisten setzen sich extrem hohe Standards und bewerten sich selbst anhand dieser strengen Maßstäbe. Dieses Verhalten hat viele negative Auswirkungen:

  •  Prokrastination: Aufgaben werden hinausgezögert, aus Angst, sie nicht perfekt erledigen zu können, was zu Stress, Überforderung und Zeitdruck führt.
  • Überarbeitung: Unverhältnismäßig viel Zeit wird an Details verbracht, was schnell zu Überarbeitung und Erschöpfung führen kann.
  • Geringes Selbstwertgefühl: Selbst kleinste Fehler werden stark kritisiert, was das Selbstwertgefühl beeinträchtigt.
  • Vermeidungsverhalten: Die Angst, nicht zu genügen, führt dazu, dass Herausforderungen vermieden werden, was die persönliche und berufliche Entwicklung hemmen kann.

Perfektionisten versuchen stets, ihr „unperfektes Selbst“ zu optimieren und Fehler vor anderen zu verbergen. Dies führt häufig zu einem Leben voller Zweifel, Unzufriedenheit und Versagensängsten, was zu Angststörungen oder Depressionen führen kann. Viele Menschen, die ich berate, sind gefangen in diesem Kreislauf und suchen nach einem Ausweg.

Wie entsteht Perfektionismus?

„Perfektionismus ist unaufhaltsam auf dem Vormarsch, steht im Zusammenhang mit psychischen Krankheiten und ist zum globalen Problem geworden, besonders bei jungen Menschen.“ GORDON FLETT UND PAUL HEWITT

Perfektionismus kann verschiedene Ursachen haben, darunter genetische Faktoren, Erziehung und kulturelle Einflüsse. Oft spielt eine Kombination dieser Elemente eine Rolle. Menschen, deren Eltern hohe Ansprüche an sich selbst stellen, neigen dazu, ähnliche Muster in ihrem Leben zu entwickeln. Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem hohe Leistungen stark betont und Fehler streng kritisiert werden, entwickeln häufig perfektionistische Tendenzen. Soziale Medien und das Wirtschaftssystem verstärken diesen Druck zusätzlich. Der ständige, oft unbewusst ablaufende Vergleich der eigenen Lebenswirklichkeit mit externen Hochglanzbildern kann das Gefühl erzeugen, nie gut genug zu sein. Es ist also von enormer Bedeutung zu erkennen, dass dieses Bedürfnis nach Perfektion oft von äußeren Einflüssen erzeugt wird und nicht von einem selbst stammt.

 

Verschiedene Erscheinungsformen des Perfektionismus

Perfektionismus tritt in verschiedenen Formen auf, die oft als Mischformen erscheinen:

  • Selbstbezogener Perfektionismus: Extrem hohe Standards für sich selbst und oft unzufrieden bei kleinsten Fehlern.
  • Fremdorientierter Perfektionismus: Hohe Standards von anderen erwarten und oft kritisch gegenüber anderen sein.
  • Sozial vorgegebener Perfektionismus: Glaube, dass unrealistisch hohe Erwartungen von anderen (z.B. Eltern, Arbeitgeber, Gesellschaft) an einen gestellt werden und ständiger Druck, diesen gerecht zu werden.


Wie kannst du erkennen, ob du zu ungesundem Perfektionismus neigst?

„PerfektionistInnen suchen Sicherheit darin, alle Eventualitäten einzukalkulieren und übersehen, dass das Grübeln sie noch mehr lähmt.“ DR. THOMAS CURRAN

  • Selbstwert an Erfolge koppeln: Bewertest du deinen Wert nach deinen Leistungen?
  • Detailverliebtheit: Versuchst du, jede Kleinigkeit perfekt zu machen und alle Eventualitäten zu berücksichtigen?
  • Überstunden machen: Arbeitest du häufig länger, weil du eine Aufgabe perfekt abschließen willst?
  • Angst vor Fehlern: Hast du oft Angst zu versagen oder Fehler zu machen?
  • Aufschieben: Schiebst du Aufgaben häufig ohne erkennbaren Grund auf?
  • Schwierigkeit im Umgang mit Kritik: Kannst du Kritik schlecht ertragen und fühlst dich schnell angegriffen?


Weniger Perfektionismus, weniger Stress:

Perfektion ist völlig illusorisch. Es gibt sie einfach gar nicht ... Als perfektionistischer Mensch ist man bei allem, was man tut, garantiert auf der Verliererseite.“ DAVID BURNS (Psychiater und emeritierter Professor an der Stanford University)

Es ist möglich, Perfektionismus zu überwinden und ein gesünderes Verhältnis zu deinen Zielen und deinen Leistungen zu entwickeln. Der erste Schritt aus der Perfektionismusfalle ist Wahrnehmung und Erkenntnis. Hier sind einige Strategien, die dir helfen können:

🌟 Erkenne, dass Perfektion unerreichbar ist: Setze dir realistische und erreichbare Ziele.

🌟 Fehler akzeptieren: Fehler sind menschlich und bieten Lernchancen.

🌟 Zeit effektiv nutzen: Setze dir klare Deadlines, um Prokrastination zu vermeiden.

🌟 Sei freundlich zu dir selbst: Anerkenne deine Bemühungen, auch wenn das Ergebnis nicht perfekt ist.

🌟 Vergleiche vermeiden: Akzeptiere deine Grenzen und sei gut zu dir selbst. Sich selbst anzunehmen und die Kraft des "Gut-Genug" zu erkennen, ist essenziell.

🌟 Arbeit an inneren Antreibern: Perfektionismus ist einer von fünf inneren Antreibern. Suche dir einen „Erlaubnissatz“ wie „gut ist genug“.

🌟 Pareto-Prinzip: 80% der Ergebnisse oft mit 20% des Aufwandes erreichen. Konzentriere dich darauf, diesen 80%-Effekt zu erzielen.

🌟 Gesundheit multidimensional betrachten: Stressabbau durch PMR oder Meditation, Schlaf, Ernährung, Bewegung und soziale Beziehungen ausbalancieren.

Perfektionismusstreben kann auch positive Seiten haben, wenn er bei ausgewählten Themen, in Maßen eingesetzt wird, kann er zu Sorgfalt und hoher Qualität führen. Der Schlüssel liegt darin, die Balance zu finden und den Perfektionismus bewusst zu steuern, sodass er motiviert, anstatt zu lähmen.

Den ungesunden Perfektionismus in den Griff zu bekommen ist ein fortdauernder Prozess. Auch ich tappe ab und an noch in die Falle, aber der Perfektionismus hat die Macht über mich und mein Handeln verloren. Auch beim Schreiben dieses Textes musste ich ihn bändigen – ist der Text perfekt? Sicher nicht ... aber er ist gut – und das genügt vollkommen!